Im letzten Jahr habe ich als Coach mit genau einhundert Menschen zusammengearbeitet. Es waren Frauen und Männer. Zwischen Anfang 20 und Ende 60. Freiberuflich, angestellt, mit Kindern und ohne.  Verheiratet, Single, verwitwet. Mit Schulden, gerade so über die Runden kommend, ganz gut verdienend oder mit großem Vermögen. Aus Deutschland, Österreich, der Schweiz, den USA. 

Darunter waren auch vier Klienten und Klientinnen, die mit einem ganz speziellen Problem zu mir gekommen sind.
Sie hatten geerbt.
Mittlere Summen.
Große Summen.
Und so große Summen, dass sie für den Rest ihres Lebens nicht mehr arbeiten müssten. 

Die Reaktion der meisten Leute darauf war: „Das Problem hätte ich auch gerne!“
Ich kann nur sagen: „Hättest du nicht.“

Ich hätte früher viel lieber ein Problem mit meinem Gewicht gehabt als mit Geld, denn auf Süßigkeiten und Fast Food zu verzichten ist für mich kein Problem. Und eine Freundin von mir hätte viel lieber meine Geldprobleme gehabt, als gegen ihr Übergewicht zu kämpfen, weil sie mit Geld immer gut klargekommen ist. Genau das ist die Krux an dieser Denkweise. Wenn es nicht „unser“ Problem ist, hätten wir es gerne. Aber in dem Moment wäre es dann ja unser Problem …

Und das Problem des Erbens wird in unserem Land immer größer. Wir sind laut Statistik die „Erbengeneration“. Nie zuvor wurden so viel Geld und Vermögenswerte vererbt wie im Moment. Und die meisten von uns sind nicht darauf vorbereitet. Wenn ein Mensch stirbt und uns einen Teil dessen hinterlässt, was er sich im Leben aufgebaut hat, kommt ganz viel zusammen, über das wir uns nie Gedanken gemacht haben. Denn wir reden nicht übers Sterben. Und wir reden nicht über Geld. Und nun fallen beide Dinge zusammen und machen uns komplett sprach- und hilflos. 

Wer erbt und nicht weiß, wie er damit umgehen soll, fürchtet sich oft davor, genau den obigen Spruch zu hören. Oder davor, dass die Freunde auf einmal auf Distanz gehen, weil man jetzt „ja reich“ ist und sie nur darauf warten, dass man sich verändert, um alle ihre Vorurteile gegen reiche Menschen bestätigt zu sehen. 

Also schweigen die Erben. 

Und leben so weiter, wie bisher. Um ja nicht den Eindruck zu erwecken, sie würden jetzt auf die Pauke hauen.
Arbeiten noch härter. Um bloß zu beweisen, dass sie nicht auf einmal faul geworden sind. Um zu beweisen, dass sie ihr Geld verdienen.
Sie lassen das Geld von fremden Anlageberatern in irgendwelche Portfolios und Anlagemöglichkeiten schieben, um sich nicht damit beschäftigen zu müssen – aus den Augen, aus dem Sinn. 
Sie haben Angst davor, das Geld könnte sie verändern.
Sie haben das Geld von jemandem geerbt, der zu Lebzeiten kein angenehmer Mensch war, der vielleicht ihnen oder ihren Eltern wehgetan hat. Dieses Geld jetzt zu besitzen stürzt sie in einen Loyalitätskonflikt – Ich hasse ihn aber ich bin seine Erbin … Kann ich das überhaupt annehmen? Färbt das ab? Was sagt das über mich? 
Ihre eigenen Vorstellungen von dem, was sie mit ihrem Leben anfangen wollen, weichen von denen des Erblassers ab und so sind sie auf einmal gefangen darin, ständig zu hinterfragen, ob das, was sie tun wollen, dem Beerbten auch recht wäre. 

Wenn wir erben, gehören uns nicht nur Geld und Vermögenswerte. Uns gehören auch auf einen Schlag wieder alle alten Geschichten, die wir mit diesem Geld – und Geld überhaupt – verbinden. Und wir brechen beinahe zusammen unter der Last des Schweigens. Mal ehrlich, wer ist denn gewillt, sich anzuhören, wie schlecht es jemandem geht, weil er jetzt auf einmal so viel Geld zur Verfügung hat? „Das Problem hätte ich auch gerne.“

Ise Bosch, die Enkelin von Robert Bosch, dem Gründer der gleichnamigen Firma, hat deshalb sogar ein Netzwerk für Erbinnen aufgebaut. Es ist ein sicherer Raum, in dem sie mit Gleichgesinnten über die Probleme sprechen können, die ihre Erbschaften mit sich gebracht haben und bringen, und darüber, wie sie mit ihrem Vermögen sinnvoll umgehen. 

Wir träumen vielleicht alle manchmal davon, auf einen Schlag eine große Menge Geld zu erhalten und so alle Sorgen los zu sein. Wenn dieses Geld über eine Erbschaft kommt, fangen die Sorgen damit aber oft erst an. 

Wenn in deinem Freundeskreis jemand erbt und du merkst, dass er oder sie damit Schwierigkeiten hat, dann sag bitte nicht: „Das Problem hätte ich auch gerne.“ Hör zu. Sei da. Nimm es ernst.

Und wenn du ein Erbe erwartest oder erhalten hast und es dir schwerfällt, damit umzugehen, sprich mich an. Denn ich hätte dein Problem wirklich gerne – und zwar hier, zwischen uns auf dem Tisch, damit wir es uns in aller Ruhe von allen Seiten ansehen können, um einen Weg zu finden, es zu lösen.